02.04.2020 16:08

Training nicht komplett aussetzen

Potsdamer Trainingswissenschaftler Olaf Prieske spricht über Trainingspausen und Sportlerherz


Potsdam, 01.04.2020

Olaf Prieske ist Professor für Training und Bewegung an der Fachhochschule für Sport und Management Potsdam der Europäischen Sportakademie Land Brandenburg (ESAB). Im Interview spricht der 35-Jährige über  dieAuswirkungen der Olympia-Verschiebung auf das Training der Sportler, das sogenannte „Abtrainieren“ und das typische Sportlerherz.

Herr Prieske, die Olympischen Spiele wurden um ein Jahr verschoben, wie müssen die Sportler nun ihr Training umstellen?

Olaf Prieske: Manche Sportler haben sich jahrelang, teilweise mehr als zehn Jahre genau auf diese Olympischen Spiele vorbereitet, wenn man sich vorstellt, dass sie im Nachwuchsbereich als Talente gesichtet und von erfahrenen Trainern speziell für diesen Höhepunkt langfristig aufgebaut wurden. Deshalb ist eine Umstellung nicht ganz so trivial, gerade unter den aktuellen Umständen, wenn teilweise auch die Trainingsstätten gesperrt sind. Momentan trainieren viele Athleten zu Hause. Das findet natürlich in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Trainern statt. So wird versucht, ein gewisses Leistungsniveau aufrecht zu erhalten oder zumindest die Leistungsrückgänge zu kontrollieren.

Einige Sportler haben angekündigt, die Saison wegen der Olympia-Absage abzubrechen. Halten Sie das für sinnvoll?

Ein Wechsel von sehr hohen Umfängen und Intensitäten zu geringeren Trainingsbelastungen findet im Trainingsalltag relativ häufig statt also beispielsweise nach der Saison. Der ist aber in der Regel geplant, und nicht – wie aktuell – ungeplant. Bei einem kompletten Trainingsausfall würde sich beispielsweise innerhalb von drei Wochen die Muskelmasse um circa fünf Prozent zurückbilden, was im Hochleistungsbereich natürlich einen großen Unterschied ausmacht. Im Bereich der Sauerstoffaufnahmefähigkeit, die für die Ausdauer sehr wichtig ist, ist es sogar noch drastischer, da kann die Rate im selben Zeitraum um bis zu ein Viertel zurückgehen. Auch aus medizinischer Sicht ist es bedenklich, ein Hochleistungstraining komplett auszusetzen. Deshalb ist es empfehlenswert, zumindest ein gewisses Maß an körperlicher Aktivität aufrecht zu erhalten. Die Trainer und Athleten sind sich dessen aber bewusst und können die aktuelle Situation mitunter als aktive Regeneration nutzen. Was kann passieren, wenn ein Hochleistungssportler von einem auf den anderen Tag aufhört zu trainieren? Vor allem bei Athleten aus den Ausdauerdisziplinen mit hohen Trainingsumfängen kann es zu vegetativen Funktionsstörungen im Herz-Kreislauf-System wie Unruhe und Schlafstörungen kommen, wenn die Sportler nicht abtrainieren.

Was versteht man unter Abtrainieren?

Nach jahrelangem, hochintensivem Leistungssport hat sich der Körper an die hohen Belastungen gewöhnt und adaptiert. Deshalb wird nach der leistungssportlichen Karriere empfohlen, mindestens ein halbes Jahr – am besten aber länger – ein gewisses Aktivitätsniveau zu erhalten, also mindestens zwei bis vier Stunden Sport pro Woche zu treiben. Dadurch können sich die hochangepassten Organe und Funktionssysteme mittel- und langfristig zurückbilden. Das gilt gerade für Ausdauersportler mit sehr hohen Trainingsumfängen.

Bei diesen ist oft vom „Sportlerherz“ die Rede, was hat es damit auf sich?

Das sogenannte Sportlerherz zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es durch den hohen Anspruch an die Pumpfunktion im Ausdauersport größer und kräftiger ist als bei Untrainierten. Es kann zum Beispiel bis zu vierzig Prozent schwerer sein als ein normales Herz. Aus medizinischer Sicht muss das Sportlerherz aber nicht zwangsläufig nach der Karriere zu einem Problem werden. Man geht inzwischen davon aus, dass es sich auch ohne spezielle Trainingsmaßnahmen langfristig wieder zurückbildet.

Worauf müssen die Sportler aktuell noch achten?

Wenn das Training reduziert wird, verändert sich natürlich auch der Energieumsatz und damit auch der Energiebedarf. Wenn die Athleten jetzt nicht auch die Ernährung anpassen, die zuvor in der Regel erhöhten Energiebedarf ausgelegt war, kann es sein, dass die Sportler an Gewicht zulegen. Das kann den späteren Einstieg in die Vorbereitung auf die nächsten Wettkämpfe erschweren. Was aktuell auch wichtig ist, sind die Themen Regeneration und Hygiene. Gerade jetzt, wo die Keimbelastung und das Infektionsrisiko so hoch sind, sind die geforderten Maßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen und soziale Distanzierung wichtig. Denn Hochleistungssportler haben eine höhere Infektanfälligkeit als Breitensportler.

Woran liegt das?

Das erhöhte Infektrisiko lässt sich vor allem bei Athleten mit sehr hohen Trainingsumfängen wie im Langstreckenlauf oder Triathlon feststellen. Ursache ist hier vermutlich der chronisch erhöhte körperliche Stress. Dadurch kann die Immunantwort bei Infektionen nicht mehr adäquat ausfallen. Die Balance zwischen Belastung und Erholung ist deshalb ganz wichtig. Bei Spitzenathleten kann die Erholung manchmal etwas zu kurz kommen.

Wie hoch ist die psychische Belastung durch die Situation?

Wenn so ein großes Ziel, das lange vorbereitet wurde, plötzlich wegbricht, dann ist das natürlich eine schwierige Situation. Ich gehe davon aus, dass einige Sportler sich noch für dieses Jahr neue Zwischenziele auf dem Weg nach Tokio setzen werden, ich denke da an die Leichtathletik- oder Tischtennis EM – sofern sie stattfinden können.

Interview: Stephan Henk, MAZ Sportbuzzer vom 01.04.2020